Die Theorie der kognizierten Kontrolle
Warum das subjektive Gefühl von Kontrolle unser Erleben und Verhalten steuert.
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„Man muss die Leute an ihren Einfluss glauben lassen – Hauptsache ist, dass sie keinen haben.“
– Ludwig Thoma, dt. Erzähler, Dramatiker & Dichter
Kennen Sie das das Gefühl, wenn Bus oder Bahn mal wieder ohne ersichtlichen Grund zu spät kommen? Und ausgerechnet dann, wenn Sie zu einem wichtigen Termin müssen? Wenn das Auto nicht anspringen will? Wenn ein Kollege an einem Tag enorm freundlich und an einem anderen aus heiterem Himmel kalt und distanziert ist – obwohl Sie sich ihm gegenüber nicht anders verhalten haben? Man muss kein Kontroll-Freak sein, um unter diesen Umständen eine Mischung aus Ärger, Frustration und Resignation zu verspüren, die uns unter Stress setzt, weil wir kaum absehen oder steuern können, was passiert.
Darin äußert sich aus Sicht der Sozialpsychologie ein grundsätzliches und tief in allen Menschen verankertes Bedürfnis nach Kontrolle, die sich in wahrgenommener Autonomie, Kompetenz und Selbstbestimmung ausdrückt. Wir wollen unser Leben selbst in der Hand haben. Daher versuchen wir, erwünschte Zustände herbeizuführen und unangenehme nach Möglichkeit zu vermeiden oder – wenn nicht anders möglich – wenigstens abzumildern. Einer der bekanntesten psychologischen Ansätze ist in diesem Zusammenhang die Theorie der „kognizierten Kontrolle“ von Osnabrügge, Stahlberg und Frei (1985). Sie identifizierten mit der Erklärbarkeit, Vorhersagbarkeit und Beeinflussbarkeit eines Ereignisses drei zentrale Aspekte (sog. „Kontrollkognitionen“), von denen das Ausmaß unserer subjektiv (!) wahrgenommen Kontrolle über eine Situation abhängt:
Das subjektive Gefühl von Kontrolle hat entscheidenden Einfluss auf unser individuelles Erleben und Verhalten in der Situation: Wahrgenommene Defizite auf mindestens einer der drei Ebenen verursachen Stress, Frustration und können zu Ablehnung, Widerstand oder mangelnder Motivation führen. Stattdessen sollten Menschen umgekehrt die drei zentralen Kontrollkognitionen vermittelt werden. Diese führt zu einer positiveren subjektiven Wahrnehmung auch von eigentlich bedrohlichen oder belastenden Ereignissen und mildern das Stresserleben deutlich ab. Wir sind gefühlt nicht mehr in einer unveränderlichen Situation, sondern in der Lage, diese durch angepasstes, adaptives Verhalten zu verbessern. Wenn Unvorhersehbarkeit und Willkür dem Gefühl weichen, die Situation nachvollziehen und in einem gewissen Rahmen Einfluss nehmen zu können, sind Akzeptanz, Motivation und die Bedingungen für erfolgreiche Problembewältigung und Lernpotenzial deutlich besser.
Dieses Wissen kann man sich als Interaktionspartner zunutze machen: Wer gezielt darauf achtet, dem Gegenüber auf den drei Ebenen Kontrolle zu vermitteln, kann so seine Wahrnehmung „steuern“, Widerstände abbauen, Frustration und Missverständnissen vorbeugen. Zentral sind dabei wie oben dargestellt Transparenz und Partizipation. Doch Achtung: In manchen Situationen kann Transparenz im Sinne von Erklärbarkeit und Vorhersehbarkeit auch unangenehm und lähmend oder schädlich sein. Dazu kommt es, wenn das vermittelte Wissen (z.B. Partner ist fremdgegangen oder ich habe eine schwere Krankheit, die meine Symptome erklärt) trotzdem kein adaptives Verhalten ermöglicht. Und auch vermittelte Beeinflussbarkeit durch die Übertragung von Aufgaben oder Entscheidungen kann ungewollte Verantwortung bringen. Es ist also ein feines Gespür für Person und Situation gefragt!