Die Kunst der Kommunikation (1/5)
Anhand der vier Seiten einer Nachricht mehr Klarheit und Verständnis erreichen.
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„Aus vielen Worte entspringt ebenso viel Gelegenheit zum Missverständnis.“
– William James, amerikanischer Psychologe und Philosoph
Das haben Sie doch ganz anders gemeint! Ertappen Sie sich auch immer mal wieder dabei, dass sie sich nur noch wundern können, wie Ihr Gesprächspartner eine Aussage so unerwartet anders und falsch versteht? Wie er oder sie scheinbar aus dem Nichts willkürlich Dinge hineininterpretiert, die Sie so nicht mal im Entferntesten gesagt haben? Kommunikation ist ein zentraler Bestandteil unseres täglichen Lebens und verläuft im Normalfall scheinbar selbstverständlich, sodass man sich keine weiteren Gedanken darüber macht. Für die meisten Situationen reicht dies auch aus. Es wäre zu aufwendig, die eigene Kommunikation ständig zu hinterfragen. Erst bei Missverständnissen, Konflikten oder Misserfolgen in Verhandlungen oder (Gehalts-)Gesprächen wird Kommunikation problematisiert. Die Kommunikationspsychologie analysiert unsere zwischenmenschliche Kommunikation und identifiziert typische Quellen für Missverständnisse und interaktionale Probleme. Aus diesem Wissen lassen sich umgekehrt Handlungsempfehlungen für eine gute und klare Kommunikation im eigenen Alltag ableiten.
Jede Kommunikation ist ein komplexer Prozess von Kodierung und Dekodierung, bei dem eine Person (der sog. „Sender“) seine Absichten, Gedanken oder Kenntnisse in eine wahrnehmbare Nachricht übersetzt und die andere (der sog. „Empfänger“) diese dann entschlüsseln und interpretieren muss. Dabei kann es leicht zu Missverständnissen kommen, wenn der Empfänger bei seiner höchst subjektiven Interpretation über einen anderen Zeichenvorrat als der Sender verfügt. Wenn der Wortschatz des Senders einer Nachricht beispielsweise Fachworte enthält, die der Empfänger nicht kennt, kann kein hundertprozentiges Verständnis erreicht werden. Auch Beispiele, die der Sender aus seinem eigenen Leben bringt, führen nur zu Verwirrung und Unverständnis, wenn diese keinerlei Bedeutung für den Empfänger haben – er sie also schlicht nicht nachvollziehen und damit den Sinn nicht verstehen kann. Mehrdeutige Formulierungen und uneindeutige oder widersprüchliche Gestik oder Mimik öffnen zusätzlich Tür und Tor für Fehlinterpretationen durch den Empfänger.
Modell: Der Kommunikationsprozess und mögliche Schwierigkeiten
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Der angesehene Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun hat diese Quellen für Missverständnisse in seinem Modell weiter präzisiert, um Wege hin zu einer klareren Kommunikation abzuleiten. Demnach muss man sich bewusst sein, dass jede Nachricht im Endeffekt vier Seiten hat, die alle gleichzeitig in denselben Worten mitschwingen. Je nachdem, wie das „Ohr“ des Empfängers ausgerichtet ist, entnimmt er den Worten des Empfängers andere Botschaften. Dabei gewichtet er ggf. auch bestimmte Seiten der Nachricht stärker, sodass er am Ende zu einer völlig anderen und für den Sender unerwartete Schlussfolgerung und Reaktion gelangt. Die Botschaften auf den verschiedenen Ebenen können dabei nicht nur auf verbaler Ebene gesendet und empfangen werden. Sie drücken sich auch in Körperhaltungen, Gestik, Mimik, der Sprechgeschwindigkeit, Lautstärke oder einzelnen Betonungen aus.
Am besten lassen sich diese vier Ebenen am Beispiel einer konkreten Nachricht nachvollziehen: Nehmen wir an, ein Mitarbeiter einer Firma fährt üblicherweise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit. Er äußert seinem Kollegen gegenüber, der mit dem eigenen Auto zur Arbeit kommt, folgende Aussage: „Ich weiß gar nicht, wie ich bei diesem verdammten Busstreik morgen zur Arbeit kommen soll.“
Wenn wir uns diese vier Seiten der Nachricht anschauen, lassen sich scheinbar völlig unlogische und willkürliche Reaktionen unseres Gegenüber schnell aufklären. Wenn wir im oben genannten Beispiel eigentlich nur unserem Ärger Luft machen wollten, wünschen wir uns nur zustimmende Worte zu der nervigen Situation. So wundern wir uns wahrscheinlich sehr, wenn der Gesprächspartner im schlimmsten Fall mit einem patzigen „Schaff dir doch endlich mal selbst ein Auto an!“ reagiert. Je nach Vorerfahrungen, Erwartungen und eigenen Persönlichkeitszügen hat er möglicherweise nicht auf unsere primäre Selbstoffenbarung reagiert, sondern einen vermuteten Appell am stärksten gewichtet.
Als Sender muss uns also klar sein, dass wir neben der reinen expliziten Sachbotschaft immer auch mehr oder minder implizite Botschaften mit senden, in denen sich häufig innere Zustände, Bedürfnisse oder die Sicht des Gegenübers ausdrücken. Wenn wir wirklich verstanden werden wollen, müssen wir daher unbedingt vermeiden, widersprüchliche oder kontraproduktive Botschaften zu senden. Dabei sollten wir auch und insbesondere auf unsere nonverbalen oder paraverbalen Signale und Botschaften achten, die im schlimmsten Fall im krassen Widerspruch zum Gesagten stehen.
Die vier Seiten der Nachricht nutzen
Um Missverständnisse zu vermeiden und klarer zu kommunizieren, müssen wir spätestens anhand der Reaktion unseres Gesprächspartners Missverständnisse identifizieren und klären zu können, indem wir an den betroffenen Seiten ansetzen: Auf der Sachebene kann Sachlichkeit gezielt durch Meta-Kommunikation und vorgeschaltete Klärung der Beziehungsproblematik wiederhergestellt werden (Trennung von Sachziel und zwischenmenschlichen Problemen). Verständlichkeit wird durch Einfachheit der sprachlichen Formulierung, Gliederung und innere Logik, Kürze und Prägnanz sowie die Verwendung von ansprechenden Stilmitteln wie lebendigen Bilder und Metaphern erreicht.
Auf Beziehungsebene sollten wir uns bemühen, in unseren verbalen aber auch insbesondere nonverbalen Botschaften Wertschätzung auszudrücken und unsere Gesprächspartner nicht zu sehr steuern oder bevormunden zu wollen. Wenn wir das Gefühl haben, dass hinter Aussagen unserer Gegenübers Beziehungskonflikte verborgen sind, dürfen diese niemals auf der Sachebene ausgetragen werden. Stattdessen müssen wir uns aktiv Zeit zur Beziehungsklärung nehmen. Dabei sind explizite und klare Beziehungsaussagen und der Ausdruck von dahinterstehenden Wünschen wichtig.
Auf der Selbstoffenbarungsebene müssen wir Achtsamkeit für eigene Gefühle und Gedanken entwickeln und diese kongruent und authentisch nach außen kommunizieren. Umgekehrt können uns die Aussagen des Gesprächspartners wichtige Informationen liefern, die beim Verständnis seiner Interpretationen helfen können.
Zuletzt sollten unsere Appelle möglichst klar und offen angesprochen werden. Vermuten wir in den Aussagen des Gegenübers verdeckte Appelle, ist die beste Lösung, direkt nachzufragen und die Gefahr für ein solches Missverständnis unmittelbar aufzulösen.
Perspektivwechsel als Übungschance
Diese Fähigkeiten erlernen wir natürlich nicht von heute auf morgen, sondern nur durch regelmäßiges Training. Eine gute Übung wäre z.B., eine problematische Gesprächssituation aus der Vergangenheit noch einmal mental durchzuspielen und dabei einen Perspektivwechsel durchführen: Was würden Sie mit etwas Abstand bei einer bestimmten eigenen Aussage denken, wenn Sie diese als Empfänger hören würden? Welche Beziehungsaussage würde sich darin für Sie ausdrücken? Was wären Appelle, die Sie dahinter vermuten würden? Welche Antworten würden Sie sich wünschen? So gewinnen Sie mehr Verständnis und Sensitivität dafür, was Ihre Aussagen in zukünftigen Situationen im Empfänger auslösen können. Wenn wir dieses Wissen mit psychologischen Techniken zur effektiven Gesprächssteuerung und überzeugenden Argumentation
kombinieren, sind wir letztlich in der Lage, wirkungsvoll und klar zu kommunizieren!