Stress verstehen (4/4)
Die Grundlagen für ein langfristig effektives Stressmanagement
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“It’s not stress that kills us, it’s our reaction to it.”
– Hans Selye, Mediziner & Pionier der Stressforschung
Wie gehen Sie persönlich mit Stress um? Suchen Sie Ablenkung oder Entspannung z.B. durch Sport oder holen sich Unterstützung im Freundes- und Familienkreis? Versuchen Sie Probleme aktiv zu lösen? Oder neigen Sie dazu, die Belastungen mental herunterzuspielen oder zu ignorieren? Tendieren Sie vielleicht sogar zu Selbstmitleid oder Resignation? So individuell und persönlich wie das Stresserleben ist letztlich auch die Bewältigung. Es gibt leider kein Patentrezept, das jedem auf die gleiche Weise hilft. Denn was für den einen wunderbar funktioniert, kann dem anderen überhaupt nichts bringen oder sogar zusätzlichen Stress auslösen. Doch trotz all dieser Individualität liefert die moderne Psychologie einige zentrale Ansatzpunkte für eine effektive Stressbewältigung, aus denen konkrete Methoden abgeleitet werden können, die für Sie persönlich funktionieren.
Aus psychologischer Perspektive versteht man unter Stressbewältigung zunächst sämtliche, sich stetig ändernde Bemühungen auf kognitiver sowie Verhaltensebene, sich mit internen und externen Anforderungen auseinanderzusetzen, die die aktuellen Ressourcen akut übersteigen (Lazarus & Folkman, 1984). In dieser zugegebenermaßen etwas sperrigen Definition stecken 2 wesentliche Punkte: Zum einen verdeutlicht sie, dass es wie oben angedeutet auch aus wissenschaftlicher Sicht eine Vielzahl unterschiedlicher Bewältigungsversuche gibt. Zum anderen macht sie keine Angabe darüber, ob die „Bewältigung“ auch wirklich zielführend und erfolgreich ist. Darin steckt allerdings ein essentieller Punkt für einen guten und gesunden Umgang mit Stress. Denn so mancher Bewältigungsversuch verspricht zwar kurzfristige Entlastung, richtet dafür aber langfristigen Schaden an. Und manche Methoden sind spätestens bei genauerem Hinsehen schlichtweg kontraproduktiv!
Die Psychologie unterteilt zunächst zwischen einer grundsätzlichen Tendenz zur Bedrohungszuwendung („Approach“) oder -vermeidung („Avoidance“). Erstere geht typischerweise zwar auch mit einer höheren wahrgenommenen Bedrohung einher, versucht sich aber auch konstruktiv mit dieser auseinander zu setzen, Probleme zu lösen oder z.B. Unterstützung zu holen. Vermeidung führt dagegen zwar akut zu einer geringeren Wahrnehmung der Bedrohung durch z.B. mentale Distanzierung oder Verleugnung. Gleichzeitig verhindert dieses Verhalten in den meisten Fällen aber auch, dass die Belastungssituation langfristig gelöst wird. Dieser chronische Stress kann langfristig enorme gesundheitliche Beeinträchtigungen bewirken. Zusätzlich zu dieser grundsätzlichen Unterscheidung können Bewältigungsmethoden an unterschiedlichen Aspekten des Stress-Prozesses ansetzen: Sie können sich direkt problemorientiert auf den Stressauslöser fokussieren oder emotionsorientiert auf den ausgelösten emotionalen und körperlichen Reaktionen.
Dabei versprechen vor allem die Bewältigungsversuche Erfolg, die sich aktiv der Bedrohung zuwenden und z.B. aktiv an einer Veränderung der Stress-Situation und der konstruktiven Regulation der Stressreaktion ansetzen. Das sog. „transaktionale Stressmodell“ (Lazarus & Folkman, 1984) zeigt zusätzlich die Bedeutung von mentalen Bewertungen für das Stresserleben auf, die entweder stressfördernd oder entlastend wirken können. Stressbewältigung kann also auch bewertungsorientiert ansetzen und sich auf eine kognitive Neubewertung der Situation beziehen. Diesen aktiven Ansätzen ist allerdings gemein, dass sie Energie und Anstrengung erfordern. Deshalb greifen wir leider häufig intuitiv zu passiven oder destruktiven Strategien, die „einfache“ und kurzfristige Entlastung bieten. Wir flüchten uns in Ablenkungen, vermeiden und verleugnen die körperlichen und mentalen Auswirkungen auf unser Wohlbefinden, ziehen uns zurück oder resignieren schließlich, wenn uns alles zu viel ist. So lassen sich beispielsweise vier sehr geläufige, unterschiedliche Stresstypen unterscheiden, von denen nur einer wirklich erstrebenswert (aber leider auch selten) ist.
Auf Grundlage dieses wissenschaftlichen Verständnisses von erfolgversprechender Stressbewältigung entstand das Konzept des sog. „Multimodalen Stressmanagements“. Diese Methode geht auf den Psychotherapeuten und Gesundheitspsychologen Prof. Dr. Kaluza zurück. Sie betont die Bedeutung einer vollumfänglichen Stressbewältigung auf drei zentralen Säulen mit Blick auf den Stressor, die mentalen Bewertungen und Erholungsfähigkeiten. Aufbauend auf diesem Konzept haben wir unser eigenes „3R-Modell“ entwickelt, in dem diese 3 Säulen neu definiert, mit aktuellen Aspekten und Techniken aus der wissenschaftlichen Forschung modifiziert und verfeinert wurden, um den Teilnehmern unserer Trainings, Seminare und Coachings die besten Optionen für ein maßgeschneidertes und individuell wirksames Stressmanagement liefern zu können.
Das Modell (ebenso wie das zugehörige Trainingskonzept) fokussiert sich auf die 3 zentralen Säulen „Resolve“, „Rethink“ und „Recharge“ zur akuten Reduktion von erlebtem Stress sowie der langfristigen Steigerung von Energieressourcen und Resilienz. Jede dieser Säulen besteht wiederum aus 3-6 kleineren Fokuspunkten, aus denen vielfältige konkrete Techniken abgeleitet werden können. Aufgrund der beschriebenen Individualität des Stresserlebens sollen diese Techniken innerhalb der Fokuspunkte allerdings lediglich als Vorschläge für einen eigenen „Methoden-Koffer“ angesehen werden, aus denen jeder sich auswählen kann, was für ihn oder sie funktioniert. Auch wenn schon die Arbeit an einer der Säulen oder sogar an einzelnen Fokuspunkten positive Effekte bringen kann, so ist das Modell doch eigentlich holistisch gedacht: Ein wirklich gesunder und effektiver Umgang mit Stress setzt Kompetenzen in allen 3 Bereichen zwingend voraus!
Der beste Ansatz für einen langfristig erfolgreichen und gesundheitsförderlichen Umgang mit Stress baut auf drei zentralen, komplementären Säulen auf. Die gezielte Reduktion von Stressauslösern, die Veränderung von stressfördernden Gedanken sowie die Stärkung von Erholungskompetenzen können bereits jeweils für sich merkliche Effekte erzielen, sollten allerdings kombiniert werden, um ihr maximales Potenzial zu entfalten. Innerhalb dieser Säulen gibt es dabei allerdings kein klares Richtig oder Falsch, sondern es gilt: Was auch immer für Sie persönlich am besten funktioniert, sollte auch Mittel der Wahl sein. Das 3R-Modell liefert dabei sowohl den nötigen Rahmen als auch zahlreiche Vorschläge für konkrete Methoden. Auf dieser Basis lässt sich Ihr ganz persönliches – sozusagen “maßgeschneidertes” – Stressmanagement entwickeln.